Masterthesis (Master 3./4. Semester)
März 2022 - Dezember 2022
Abstract
Die betriebliche Weiterbildung ist ein fester Bestandteil für die Förderung von Mitarbeitenden. Von Präsenzschulungen über Online-Kurse mit Trainern bis hin zu eigenständig durchgeführten web-basierten Trainings ist alles dabei. Doch nicht immer können Unternehmen technologische Weiterentwicklungen direkt in ihre bestehenden Programme integrieren. Am Beispiel Extended Reality wird dabei deutlich, dass die vielen Vorteile der Technologie auf das Lernen nicht genutzt werden. Das Ziel der vorliegenden Masterthesis besteht darin, Extended Reality und Lernen in einem praktischen Projekt zu vereinen und eine Vorgehensweise für die Integration im Unternehmen sowie den Einfluss auf die Lernerfahrung der Mitarbeitenden aufzuzeigen.
Im Rahmen dessen wurden die beiden Themenfelder Extended Reality und Lernen hinsichtlich der betrieblichen Weiterbildung analysiert und eine Basis für die Umsetzung geschaffen. Am Beispiel eines Grundlagentrainings für einen Weichenantrieb entstand ein didaktisches und gestalterisches Konzept, welches in einer nicht-immersiven Trainingsanwendung am Bildschirm und einer immersiven Applikation für Virtual Reality resultierte. In mehreren Nutzerstudien mit Mitarbeitenden von Siemens Mobility GmbH wurden diese Anwendungen auf ihrer Benutzerfreundlichkeit und Lernerfahrung untersucht.
Die Ergebnisse zeigen einerseits eine positive Wirkung der immersiven Trainingsanwendung auf die Lernerfahrung. Andererseits konnten anhand des Entwicklungsprozesses erste Handlungsempfehlungen für Unternehmen geschlussfolgert werden. Diese sollen bei der Erstellung von Trainings für Bildschirm und Extended Reality helfen.
Forschungsfrage
Welchen Einfluss hat ein immersives Training eines Weichenantriebs in Extended Reality auf die Lernerfahrung von Mitarbeitenden im Vergleich zu einem nicht-immersiven Training am Bildschirm?
- Wie muss eine Trainingssequenz aufgebaut und gestaltet sein, um wichtige Funktionen und Abhängigkeiten eines Weichenantriebs zu vermitteln?
- Wie sinnvoll ist die Anwendung der 4-Stufen-Methodik für Schulungen in der digitalen Trainingssequenz? Wie kann sie abgebildet werden?
- Wie können komplexe Menüs in XR gestaltet werden? Wie werden umfangreiche, theoretische Inhalte für verschiedene Lerntypen sichtbar und erfahrbar gemacht?
- Wie können grundlegende Interaktionselemente gestaltet sein, sodass sie sowohl für Bildschirm als auch XR-Anwendungen funktionieren?
- Wie sinnvoll ist die Anwendung der 4-Stufen-Methodik für Schulungen in der digitalen Trainingssequenz? Wie kann sie abgebildet werden?
- Wie können komplexe Menüs in XR gestaltet werden? Wie werden umfangreiche, theoretische Inhalte für verschiedene Lerntypen sichtbar und erfahrbar gemacht?
- Wie können grundlegende Interaktionselemente gestaltet sein, sodass sie sowohl für Bildschirm als auch XR-Anwendungen funktionieren?
Didaktischer Trainingsentwurf
Trainingsablauf
Der Trainingsablauf beschreibt die einzelnen Schritte, die Lernende innerhalb einer Schulung durchlaufen. Sie werden in der Entwurfsphase auf Basis der Anforderungsanalyse in Form eines Drehbuchs festgehalten. Dieses vereint Anweisungen für die technische Umsetzung, Kommentare zur visuellen Gestaltung und darzustellende Inhalte sowie Texte für die Vertonung der Informationen. Anhand dessen kann überprüft werden, ob erforderliches Wissen vermittelt wird und inwiefern die verschiedenen Lerntypen angesprochen werden.
Ein interaktives web-basiertes Training, wie es für den Weichenantrieb entwickelt werden sollte, erforderte zusätzlich Ablaufdiagramme, die Interaktionsmöglichkeiten in verschiedenen Lernsituationen aufzeigen. Der finale Trainingsablauf enthält außerdem Zuordnungen zu verschiedenen Phasen der Vier-Stufen-Methodik sowie drei Anwendungsszenarien.
Abdeckung von Lerntypen
Aufbauend auf den entwickelten Trainingsszenarien muss außerdem betrachtet werden, inwiefern verschiedene Lerntypen in den einzelnen Schritten angesprochen werden. Da es vor allem um die mediale Abdeckung während des Lernprozesses geht, werden nur die vier Typen nach Vester (1998) analysiert. In Form einer User Journey Map werden die Interaktionen einer Zielgruppe mit einem Produkt oder Service erfasst.
Die emotionale Betrachtung in den Trainingsphasen zeigt, dass in dieser Lernanwendung des Weichenantriebs der visuelle und auditive Lerntyp ausreichend abgedeckt ist. Jedoch stellt wie in anderen digitalen Trainings der kommunikative/ intellektuelle Lerntyp ein Problem dar. Der haptische Lerntyp befindet sich im Mittelfeld, das heißt es wurden so viele interaktive Teile geplant wie möglich, doch ein vollständig positiver Verlauf ist noch nicht realisierbar. Durch eine geschickte Gestaltung des UIs können die verschiedenen Kurven jedoch verbessert werden.
Gestalterischer Trainingsentwurf
Konzept
Das Training des Weichenantriebs hat zum Ziel, eine Anwendung zu entwickeln, die sowohl auf Bildschirmen als auch in XR aufrufbar ist. Das Konzept und die technische Archtitektur der bildschirmbasierten Trainingsanwendung stellt daher eine Design- und Interaktionsgrundlage für die Entwicklung des immersiven Konzepts dar. Mit Skizzen, Papiermodellen und detaillierteren Visualisierungen entstand iterativ der finale Entwurf für eine neuartige Trainingsnavigation in XR.
Bei dem Gestaltungsentwurf handelt sich dabei um eine Navigation, die kreisförmig und liegend um das Lernobjekt angeordnet ist. Die einzelnen Menüpunkte, die den Trainingsphasen (Komponenten, Funktionen, Übungen) entsprechen, öffnen sich jeweils in einer Säule. Detailinformationen zum Verständnis des Weichenantriebs werden in separat aufrufbaren Fenstern geöffnet.
Funktionsprototyp
Als Ergänzung zu dem gestalterischen Trainingsentwurf und als Grundlage der Evaluationen entstand ein interaktiver Prototyp. Dieser wurde in Unity 3D unter Verwendung des MRTKs für die Oculus Quest entwickelt. Der Fokus lag dabei auf dem Szenario „Verschließen und Sichern des Weichenantriebs“.
Evaluation
Ziel
Entsprechend der iterativen Konzeption und Entwicklung erfolgten zwei Studien mit mehreren Testläufen.
Das Ziel der Vorstudie war die Bewertung des didaktischen Entwurfs und allgemeinen Interaktionskonzepts (Usability) des Trainings. Der darin enthaltene Alpha-Test beinhaltete eine interaktionsfähige Nutzeroberfläche ohne Fokus auf die grafische Ausgestaltung. Zudem waren jeweils eine Funktion und ein Trainingsszenario implementiert. Dadurch sollten die Grundgedanken des Trainings überprüft werden. Der Beta-Test entsprach einer fast finalen Trainingsanwendung, in der Design und Interaktionen anhand des Alpha-Tests ausgearbeitet wurden und letzte Unstimmigkeiten beseitigt werden sollten.
Das Ziel war die Untersuchung der Lernerfahrung Hauptstudie und des Lernerfolgs in Extended Reality im Vergleich zu herkömmlichen WBTs am Bildschirm. Hierbei kam der selbst erstellte Funktionsprototyp zum Einsatz. Außerdem wurden die Umfrageergebnisse mit denen der Vorstudie verglichen. Die Erkenntnisse dieser Studie dienten der Beantwortung der Forschungsfrage der Masterthesis.
Ergebnisse
Der Alpha- und Beta-Test haben das didaktische Konzept jeweils gut bewertet und Verbesserungsbedarf in der Navigation sowie Handhabung der Trainingsanwendung am Bildschirm gezeigt. Eine größere Bedeutung erhalten die Ergebnisse der Vorstudie jedoch im Vergleich zur Hauptstudie (VR-Test).
Wie in den Grafiken zu sehen, wurden mehrere Bewertungsskalen angewendet: System Usability Scale (SUS), Single Ease Question (SEQ) und User Experience Questionnaire (UEQ). Während der SUS- und SEQ-Score nur geringe Unterschiede zwischen Bildschirm und XR aufwies, zeigte der Vergleich der Benutzererfahrung über den UEQ eine deutliche Tendenz zur VR.
Für die Fragestellung der Masterthesis bedeuten die Vergleiche, dass Immersion einen deutlichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Lernenden hat. Außerdem bestätigt dies die Verknüpfung von Emotionen zur Lernerfahrung. Die neuen Reize verstärken die Wahrnehmung der Lernenden und verändern ihre Motivation zum Lernen.
Fazit und Ausblick
Obwohl XR-Trainings im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung derzeit noch nicht von Mitarbeitenden gefordert werden oder ihnen fehlen, haben die Analysen gezeigt, dass die Motivation und die Freude am Lernen in einer immersiven Anwendungen höher ist. Dies begünstigt sowohl die Lernerfahrung der Mitarbeitenden als auch den Spaß am Lernen.
Weitere Erkenntisse zu einigen Forschungsfragen sind:
- Einführungen in Thema und Anwendung sind als Trainingsrahmen zwingend erforderlich.
- Die 4-Stufen-Methodik kann als Leitfaden zur Konzeption von XR-Trainings unterstützen.
- Einzelne Lerntypen sind teilweise schwer abzudecken und benötigen mehr Aufmerksamkeit im Entwicklungsprozess.
- Komplexe Menüstrukturen können den Fokus auf das Lernen beeinträchten und sollten z.B. mit Szenarien reduziert werden.
- Einführungen in Thema und Anwendung sind als Trainingsrahmen zwingend erforderlich.
- Die 4-Stufen-Methodik kann als Leitfaden zur Konzeption von XR-Trainings unterstützen.
- Einzelne Lerntypen sind teilweise schwer abzudecken und benötigen mehr Aufmerksamkeit im Entwicklungsprozess.
- Komplexe Menüstrukturen können den Fokus auf das Lernen beeinträchten und sollten z.B. mit Szenarien reduziert werden.
Die Masterthesis zeigt einen Ansatz für eine neuartige Menügestaltung in virtuellen Lernanwendungen und evaluiert diesen hinsichtlich der Lernerfahrung von Mitarbeitenden während der betrieblichen Weiterbildung. Dennoch ist für den Einsatz in der Praxis die Übertragung des erstellten Funktionsprototyps in bestehende Entwicklungsumgebungen erforderlich. Ebenso sollte aus Unternehmenssicht geklärt werden, wie mehr XR-Technologie in Trainings eingebunden und gefördert werden kann. Aus didaktischer Sicht bietet diese Masterthesis Forschungspotenzial für den Vergleich des Lernerfolgs von immersivem Training in Extended Reality und nicht-immersivem Training am Bildschirm, woraus sich wiederum Investitionen des Unternehmens begründen lassen.